Wie Burg und Stadt Schiltach wrttembergisch wurden

Wie Burg und Stadt Schiltach
württembergisch wurden

Vortrag anlässlich der Hauptversammlung der
Mitgliedergruppe Schiltach des Historischen Vereins
Mittelbaden e.V. am 16.1.2009

Dr. Hans Harter

Januar 2009

Inhaltsverzeichnis

1 Einnahme durch Mathis von Signau

1375 schlossen die Grafen Eberhard II. „der Greiner“ von Württemberg und sein Sohn Ulrich in ihrer Residenz zu Urach eine Vereinbarung (siehe Abbildung 1 auf Seite 4) mit dem Adligen Mathis von Signau, die dieser „mit erhobenen Fingern“ beschwor: Wenn es ihm gelänge, die Hohengeroldseck und die „Vesti Schiltach“ einzunehmen, dann wollte er den Grafen mit beiden Burgen „dienen“. Dies war nichts anderes als die Verabredung eines Kriegszugs, den Mathis mit Rückendeckung der Württemberger durchführen sollte, die dabei aber nicht in Erscheinung treten wollten.


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Abbildung 1: Urkunde vom 12. Oktober 1375: Mathis von Signau vereinbart mit den Grafen Eberhard II. und Ulrich von Württemberg die Eroberung der Burgen Hohengeroldseck und Schiltach. – Pergament-Urkunde, Generallandesarchiv Karlsruhe Abt. 21, Nr. 6680.


Von den Beteiligten sind die beiden Grafen bekannte politische Größen, vor allem Eberhard II., der 1344-1392 regierte und dessen Beiname „Greiner“ ihn als „Zänker“ charakterisiert (siehe Abbildung 2 auf Seite 7). Das Hauptziel seiner Politik war die territoriale Vergrößerung der Grafschaft Württemberg, weswegen er in viele Händel mit Reichsstädten und Adligen verstrickt war. So unternahm 1367 Graf Wolf von Eberstein mit anderen Adligen einen aufsehenerregenden Überfall auf ihn, der mit seinem Sohn „im Wildbad“ zur Badekur weilte. Nur mit knapper Not und mit Hilfe eines wegekundigen Hirten entkamen die beiden Württemberger, wonach sie den Beteiligten, vor allem dem Graf von Eberstein, sofort die Fehde erklärten. Der Dichter Ludwig Uhland (1787-1862) hat dieses Ereignis in dem Gedicht „Der Überfall im Wildbad“ literarisch verewigt, so dass Graf Eberhard, der „alte Rauschebart“, im württembergischen Landesteil bis heute populär geblieben ist. Sein Sohn Ulrich fiel 1388 in der Schlacht von Döffingen, die die Grafen gegen den schwäbischen Städtebund ausfochten.


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Abbildung 2: Standbild Graf Eberhards II. „der Greiner“ von Württemberg in der Stiftskirche Stuttgart (um 1580). – Foto: Hans Harter.


Mathis von Signau, der dritte 1375 in Urach Beteiligte, stammte von der gleichnamigen Burg im Schweizer Emmental, doch hatte er wegen einer Fehde mit der Stadt Bern seinen Wohnsitz nach Straßburg verlegt. Dort trafen wegen räuberischer Überfälle auf Kaufleute laufend Klagen über ihn ein, was ihn als übel beleumundet einschätzen lässt. Er scheint eine Art militärischer Haudegen gewesen sein, der sich für alle möglichen militärischen Unternehmen anheuern ließ, wie 1375 durch die Grafen von Württemberg für einen Kriegszug ins Kinzigtal.

Von den dort ins Visier genommenen Burgen Hohengeroldseck und Schiltach war erstere Sitz der Geroldsecker Brüder Heinrich und Georg, mit denen die Württemberger Konflikte hatten, da sie deren das untere Kinzigtal beherrschende Burg unter ihre Kontrolle bringen wollten. Auch für die „Vesti Schiltach“ gab es einen Geroldsecker Hintergrund: Hier besaßen die Brüder Heinrich und Georg Pfandrechte, die ihnen, neben Anteilen an den in Schiltach erhobenen Steuern und Abgaben, auch ein Besatzungsrecht auf der Burg gaben. Damit war Schiltach auch eine geroldseckische Position, wiewohl die Eigentumsrechte bei Herzog Konrad VII. von Urslingen lagen, der mit seiner Familie, seiner Frau Verena von Krenkingen und den Kindern Anna und Reinold, auf der hiesigen Burg lebte.


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Abbildung 3: Die Burg Hohengeroldseck bei ihrer Belagerung im Jahr 1496. Aus dem Kriegsbuch des kurpfälzischen Büchsenmeisters Philipp Mönch (Ausschnitt). – www.Virtuelles Geroldsecker Museum.de


Wie in Urach vereinbart, zog Mathis von Signau alsbald mit einem Heerhaufen gegen die beiden Burgen. Er konnte sie auch einnehmen, wobei aller Wahrscheinlichkeit nach der Geroldsecker Heinrich und Herzog Konrad VII. von Urslingen umkamen, was so wohl nicht geplant war. Tatsächlich erhielten die Grafen von Württemberg, die hinter dem Ganzen steckten, 1376 von der Witwe des Geroldseckers die Öffnung der Hohengeroldseck zu ihren Gunsten. In Bezug auf Schiltach hielten sie sich jedoch bedeckt und machten keine Anstalten, sich dort, wie abgesprochen, von dem Signauer „dienen“ zu lassen. Grund könnte der Tod des Urslingers Konrad gewesen sein, der mit den geroldseckisch-württembergischen Konflikten nichts zu tun hatte, aber ihr Opfer geworden war – für die Grafen von Württemberg vielleicht der Anlass, ihren Protegé Mathis von Signau fallen zu lassen, zumal Eberhard II. damals sowieso um seinen guten Ruf kämpfte: 1372 war Graf Ulrich V. von Helfenstein, als Hauptmann eines Städtebündnisses sein geschworener Feind, auf die Burg Ramstein im Schiltachtal verschleppt und eines Morgens tot aufgefunden worden - ein nie geklärter Mord, den die damalige öffentliche Meinung aber dem Greiner in die Schuhe schob!

Der sich in Schiltach einrichtende Mathis von Signau aber hatte gewaltige Probleme: Bei ihrer Einnahme war die Burg Schiltach stark zerstört worden und musste „gebuwen“ werden, vielleicht war er seinem Kriegsvolk auch den Sold schuldig geblieben. In dieser Situation von seinen württembergischen Partnern im Stich gelassen, musste Mathis sich zur Absicherung seiner Eroberung nach neuen Partnern und Geldgebern umsehen, die er alsbald auch fand: 1378 liehen ihm die Stadt Rottweil und der Graf Wolf von Eberstein zusammen 850 Gulden, wofür sie jeweils zur Hälfte „Schilta Burg und Statt“ als Pfand erhielten.


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Abbildung 4: Die Burg Schiltach im Jahr 1643. Ausschnitt aus dem Schiltach-Stich von Matthäus Merian in seiner „Topographia Sueviae“.


Im Falle Rottweils hing dieses Engagement wohl mit der Bedeutung Schiltachs für die Stadt am oberen Neckar zusammen, für die es „das Tor in den Schwarzwald“ war: Hier nahm die durch das Kinzigtal verlaufende Handelsstraße, die in Schiltach nicht zufällig „Rottweiler Straße“ hieß, ihren steilen Ab- bzw. Anstieg (Flurname „Staig“), wofür die Stadt Schiltach mit ihren Werkstätten und Herbergen als eine Art Dienstleistungszentrum diente und wo man von der Burg aus militärische Kontrolle ausüben konnte. Was Graf Wolf von Eberstein bewog, in Schiltach „einzusteigen“, hat wohl weniger damit zu tun, dass er und Mathis von Signau alte Kumpane waren, sondern eher damit, dass er, der Anführer des Überfalls im Wildbad, noch immer in Fehde mit Eberhard dem Greiner lag: So konnte er verhindern, dass der Württemberger sich Schiltach sicherte, das er nun selber gegen ihn einsetzen konnte. Graf Wolf tat in der Folge denn auch alles, um sich Schiltach endgültig zu sichern, wofür er Mathis von Signau 1379 nochmals 2100 Gulden bezahlte und mit ihm verabredete, die Stadt Rottweil, den anderen hiesigen Partner, wieder loszuwerden.

2 Übernahme durch Graf Eberhard v.Württemberg

Dies aber brachte Graf Eberhard den Greiner endgültig „in Harnisch“: Nicht nur, dass er mit dem Ebersteiner noch immer nicht „abgerechnet“ hatte, er sah auch seine auf Schiltach zielenden Interessen gefährdet. So befahl er 1380 seinem Diener Volz von Weitingen einen Kriegszug nach Schiltach, der sowohl den Ebersteiner wie die Besatzung der Stadt Rottweil vertrieb – die zweite Eroberung von Burg und Stadt innerhalb von fünf Jahren!

Jetzt war Schiltach also von Württemberg okkupiert, kraft Kriegsrechts, was jedoch auch in damaliger Zeit kein anerkannter Rechtstitel war. So ging es der württembergischen Politik in der Folge darum, diesen Besitz zu legalisieren und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um rechtmäßiger Eigentümer von Schiltach zu werden. Dazu mussten auf der einen Seite die Geroldsecker mit ihren hiesigen Pfandrechten und auf der anderen die Herzöge von Urslingen als die eigentlichen Eigentümer zum Verkauf ihrer jeweiligen Rechte gebracht werden.


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Abbildung 5: Urkunde vom 31. August 1381: Herzog Reinold VI. von Urslingen und seine Schwester Herzogin Anna und deren Gemahl Konrad von Geroldseck, Herr zu Sulz a. N., verkaufen Graf Eberhard II. von Württemberg Burg und Stadt Schiltach für 6000 Gulden. - Pergament-Urkunde (Ausschnitt), Generallandesarchiv Karlsruhe Abt. 21, Nr. 6693.


Die Geroldsecker Pfandrechte waren ihrerseits zwischen den Brüdern Heinrich und Georg geteilt gewesen, wobei letzterer seinen Anteil in der Zwischenzeit an die Rottweiler Bürger Schultheiß von Dornstetten weiterverkauft hatte. Sie waren jedoch bereit, dem Kaufangebot Württembergs zu entsprechen, das am 25. Juni 1381 beurkundet wurde (siehe Abbildung 5 auf Seite 16), wobei 4000 Pfund Heller (ca. 4000 Gulden) fällig wurden. - Bald darauf, am 31. August 1381, war Württemberg sich auch mit den Herzögen von Urslingen einig: Es waren die Kinder des bei der Einnahme Schiltachs durch Mathis von Signau ums Leben gekommenen Herzogs Konrad, die Herzogin Anna und der kaum volljährige Herzog Reinold VI., die „Schiltach die Burg und Schiltach die Statt“ für 6000 Gulden Graf Eberhard II. verkauften. Damit hatte dieser die „Eigenschaft“, die Eigentumsrechte an Schiltach, erworben und damit sein Ziel, dessen legalem Eigentümer zu werden, im Prinzip erreicht. - Noch bestanden die Pfandrechte des Geroldeckers Heinrich, die dessen Witwe Anna von Ochsenstein und ihre Kinder hielten. Sie waren ihrerseits erst zehn Jahre später, 1391, zum Verkauf bereit, für die stolze Summe von 6000 Gulden, so dass der Erwerb von Schiltach Württemberg auf insgesamt 16.000 Gulden zu stehen kam! - Ein letztes Hindernis wurde 1392 beseitigt: Die Stadt Rottweil war 1380 vom württembergischen Heer aus Schiltach vertrieben worden und erhob nun Schadensersatzansprüche, die jedoch ein Schiedsgericht zurückwies: Die Rottweiler Rechte hatten die Okkupation durch Mathis von Signau als Grundlage und waren „unnütz und tot“, während Württemberg seine Urkunden von 1381 und 1391 vorzeigte und so den legalen Erwerb der Schiltacher Rechte bewies. Nach den Bestrebungen Graf Wolfs von Eberstein waren damit auch die Ambitionen der Stadt Rottweil bezüglich Schiltachs gescheitert, von ihren finanziellen Verlusten ganz zu schweigen.

In Schiltach durchgesetzt hatte sich Württemberg, das seit 1392 unangefochten Eigentümer von Burg und Stadt war, mit „allem, was dazugehört“, also auch den Höfen des Lehengerichts. Dieses Ziel hatte Graf Eberhard II. seit 1375 mit allen Mitteln verfolgt: Dafür wurde ein Haudegen wie Mathis von Signau angeheuert, ein eigener württembergischer Kriegshaufen in Marsch gesetzt und wurden mit Hilfe einiger mit schweren Goldgulden gefüllter Geldsäcke alle bestehenden Herrschaftsrechte systematisch aufgekauft. Dieser Aufwand zeugt von einem besonderen Interesse Württembergs, das seinen Grund in der topografisch-strategischen Lage Schiltachs - seiner Straßenlage - hatte. Gerade im 14. Jahrhundert drängte Württemberg auf territoriale Ausweitung, auch nach Westen an den Oberrhein, wo es im Elsaß und am Kaiserstuhl Besitzungen erwarb. Nicht zufällig schrieb Graf Eberhard III., der Enkel des Greiners, 1397 von der Wichtigkeit der „Straße das Kinzigtal heruff“, und die ganzen Aktionen der württembergischen Politik bezüglich Schiltachs erklären sich aus dem Ziel, sich die Stadt und Burg mit ihren auf die „Rottweiler Straße“ bezogenen Funktionen auf irgendeine Weise einzuverleiben.

3 Württembergische Prägungen bis in neuere Zeit

Fortan teilte Schiltach die Geschicke der Grafschaft, dann – seit 1495 – des Herzogtums und schließlich des Königreichs Württemberg, bis es 1810 im Zuge eines Gebietsaustauschs dem Großherzogtum Baden zugeschlagen wurde. Die mehr als 400jährige Zugehörigkeit zu Württemberg haben Schiltach denn auch nachhaltig geprägt, zum Teil bis in unsere Zeit:

- Auf Befehl Herzog Ulrichs wurde in seinem Land Württemberg 1534 die Reformation eingeführt und damit auch in Schiltach, im Gegensatz zu den Nachbarterritorien Fürstenberg und Schramberg, so dass die Landesgrenzen jetzt auch zu Konfessionsgrenzen wurden, mit all den Problemen, die die konfessionelle Spaltung für die Menschen mit sich brachte.

- Der Zuzug von Menschen, vor allem der Ehepartner und des obrigkeitlichen Personals (Pfarrer, Lehrer, Förster, Zoller) kam fortan aus Alt-Württemberg, und mit ihm das Schwäbische als Sprache, das nun in Schiltach heimisch wurde, wieder im Gegensatz zu den alemannisch sprechenden Kinzigtälern, so dass die Herrschafts- und Konfessionsgrenze auch zu einer bis heute feststellbaren Sprachgrenze wurde.

- Dementsprechend verstand man sich in Schiltach bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht als „altbadisch“, was die folgenden Beispiele illustrieren: Als 1949 Leo Wohleb, der badische Staatspräsident, zur „Wiederverleihung des Stadtrechts“ nach Schiltach kam, hielt sich die Begeisterung in Grenzen: Ihn empfingen keine Musikkapelle, kein Gesangverein und kein Meer badischer Fahnen, nur ein Spalier von Schulkindern war aufgestellt; Bürgermeister Gottlieb Trautwein hob in seiner Rede auf die „429jährige Zugehörigkeit Schiltachs zu Württemberg“ ab und vergaß auch nicht, die zahlreichen Familienbande und wirtschaftlichen Verbindungen mit dem „Land östlich der gelb-roten Grenzpfähle“ zu erwähnen. Und es machte wenig Eindruck, dass Wohleb der Stadt Schiltach ein „Blühen“ als „von Neuem Stadt im badischen Lande“ wünschte! – Dies zeigte sich 1951, bei der ersten Volksabstimmung zum Südweststaat bzw. der Wiederherstellung des Landes Baden: Bei einer Beteiligung von 81,4% (703 von 864 Berechtigten) stimmten 590 (= 83,9%) für die Neubildung des Landes Baden-Württemberg, nur 113 (= 16,1%) für „Altbaden“.

Trotz alt-badischer Propaganda im Schiltacher Nachrichtenblatt ging die zu diesem Thema 1970 angesetzte zweite Abstimmung nicht anders aus als die erste: Bei einer Beteiligung von 73,3% (1665 von 2247 Berechtigten) stimmten 90,0% (= 1642) für die Beibehaltung des Landes Baden-Württemberg und nur 10,0% (= 164) für die Wiederherstellung von Baden. – Als diese Konflikte sich danach abschliffen, wurde in Schiltach auch das „Badner Lied“ heimisch, seit den 1970er Jahren und wohl, nachdem die Musikkapelle es in ihr Repertoire aufgenommen hatte. So entstand auch hier ein nostalgisches „Baden-Bewusstsein“, das dabei ist, die frühere Orientierung nach Württemberg, „dem Schwaben“, wie man sagte, abzulösen – und dies, obwohl Schiltach seit der Kreisreform 1973 dem Landkreis Rottweil angehört!

Literatur

[1]   Hans Harter: Die Herzöge von Urslingen in Schiltach (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Schiltach Bd. 5), Schiltach 2008

[2]   Hans Harter: Gottlieb Trautwein (1892-1953). Ein Schiltacher Liberaler und kämpferischer Demokrat, in: Die Ortenau 68 (1988), S. 303-347.